BLOG: Die Politik sollte mutig sein! Benedikt Bösel, Geschäftsführer von Schlossgut Alt Madlitz, im Interview
Verfasst von Svenja Brink am 24.08.2018 unter Blog
Benedikt Bösel hat Kindheit und Jugend auf dem Land verbracht, zehn Jahre in der Finanzbranche gearbeitet und ist heute Geschäftsführer von „Schlossgut Alt Madlitz“ in Ost-Brandenburg, einem ökologischen Landwirtschaftsbetrieb. Hier können Start-ups und Forschungseinrichtungen Versuchsflächen nutzen. Benedikt Bösel ist zudem Vorsitzender der „AgTech“-Plattform des Bundesverbands Deutsche Startups. Im Interview mit unserer Berliner Volontärin Svenja Brink erläutert er, was ihn persönlich antreibt und skizziert den vielfältigen Nutzen einer multifunktionalen Landwirtschaft.
Landwirte beklagen oft, als „Sündenbock“ der Gesellschaft für alle möglichen Probleme herhalten zu müssen (Stichwort: CO2, Insektensterben). Hast du als Ökobauer ein besseres gesellschaftliches Image?
Was uns Landwirte vereint, ist, dass wir extrem hart arbeiten und das für wenig Geld. Jeder will etwas von uns. Wir sollen günstige und gesunde Lebensmittel herstellen, uns um das Tierwohl kümmern, die Umwelt schützen, die Kulturlandschaft pflegen, neue Produkte kaufen, Abgaben zahlen, Anträge ausfüllen, Prozesse offenlegen, und, und, und. All diese Aufgaben aus Sicht aller zufriedenstellend zu erfüllen, ist höchst unwahrscheinlich. Da ist man schnell der Sündenbock, zumal man Steuergelder bekommt. Dabei wird gute oder schlechte Landwirtschaft nicht dadurch definiert, ob jemand ökologisch oder konventionell wirtschaftet. In beiden Bereichen gibt es viele Herausforderungen, die wir noch meistern müssen. Die meisten Landwirte, die ich kenne, suchen ständig nach Verbesserungsmöglichkeiten, darüber spricht im gesellschaftlichen Diskurs aber leider kaum jemand.
Du warst Investmentbanker und widmest dich heute der Landwirtschaft. Ist das die romantische Ausnahme oder eine echte Option für junge Absolventen diverser Fachrichtungen zur Stärkung des ländlichen Raumes?
Früher dachte ich, Geld befähigt mich, Freiheit zu erlangen. Heute glaube ich, Freiheit bedeutet, das zu machen, was man liebt und wo man etwas bewegen kann. Dies ist aber eine sehr individuelle Entscheidung. Fakt ist, dass die ländlichen Räume und insbesondere die Landwirtschaft ein unglaubliches Potential haben, auch weil die Herausforderungen teilweise so gravierend sind. Das sind wichtige Anreize für junge Menschen.
Daran anschließend: Was muss die Politik tun, damit der ländliche Raum attraktiver für junge Menschen wird?
Mutig sein. Es gibt so viele gute und kreative Ideen, wie die ländlichen Räume gestärkt werden können – beispielsweise Gründerzentren, Co-Working Werkstätten, Mehrgenerationenhäuser aber auch unterschiedliche Formen von Forschungsprojekten und Kooperationen. Es gibt Fördermöglichkeiten – und dafür sind wir dankbar –, aber diese unterliegen meist erheblichen Antragsformalitäten oder auch politischen Interessenslagen. So sind diese Gelder für viele Konzepte, Ideen und Teams nicht zugänglich. Das ist sehr schade, da somit viel Potential verloren geht.
Welche Innovationen werden aktuell in Alt Madlitz getestet?
Wir arbeiten derzeit mit SeedForward zusammen, die eine ökologische Beschichtung von Saatgut entwickelt haben. Neben SeedForward arbeiten wir auch eng mit Novihum zusammen. Novihum hat ein Granulat aus Braunkohlestaub entwickelt, das ganz entscheidend zum Humusaufbau bei unseren sandigen Brandenburger Böden beitragen kann. Im Forst arbeiten wir mit TimberTom, die den Brennholzmarkt digitalisieren. Außerdem arbeiten wir mit Forschungseinrichtungen und Startups in Operativen Gruppen oder an eigenen Innovations- und Förderanträgen.
Welche Innovation überzeugt Dich gerade besonders?
Die Jungs von SmartCloudFarming entwickeln eine satellitengestützte Technologie, um den Boden besser analysieren zu können. Das Potential ist unglaublich. Der Boden und das Bodenleben sind die wichtigsten Ressourcen, die wir haben und noch überraschend unerforscht. Ich hoffe, dass wir mithilfe dieser Technologie neue Ansätze und ein noch besseres Verständnis entwickeln können.
Zurück zu den Herausforderungen: Oft wird bemängelt, der Verbraucher in Deutschland zahle bei den niedrigen Preisen im Supermarkt nicht den „wahren Wert“ der landwirtschaftlichen Ware. Was muss sich verändern?
Die Frage ist so komplex, dass sie sich nicht mit wenigen Sätzen beantworten lässt. Grundsätzlich geht es bei dem „wahren Wert“ von Nahrung um die Monetisierung der Externalitäten, also der Auswirkungen unserer Nahrungsmittelproduktion auf Umwelt und Menschen. Diese Kosten müssten eigentlich auf den Preis der hergestellten Nahrungsmittel aufgerechnet werden. Insgesamt werden wir über Transparenz, wo unser Essen herkommt und wie es hergestellt wurde, mehr Vertrauen schaffen. So können wir Verbrauchern, die besseres Tierwohl oder höhere Umweltleistungen honorieren möchten, die Chance geben, über ihre Einkaufentscheidung Landwirte entsprechend für diese Leistungen zu entlohnen. Ich möchte aber noch einen Punkt zum Thema „bemängelt“ ergänzen: Wir neigen in der Diskussion über unser Ernährungssystem sehr stark dazu, nach einzelnen Schuldigen zu suchen. Mal sind es die Verbraucher, mal die Landwirte, Politik oder die großen Konzerne. Nur führt das zu nichts: Wir können die Probleme nur gemeinsam lösen, also muss sich auch unsere Diskussionskultur ändern.
Sollten Land- und Forstwirtschaft in Deutschland einander wieder näher rücken – u.a. für mehr Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Biodiversität?
Wir haben in den letzten Jahrzehnten unglaubliche Ertrags- und Effizienzsteigerungen durch Züchtungen, Technologie, chemische Dünger und Pflanzenschutz erfahren. Wir sind nun aber an einem Punkt, wo unser aktuelles Ernährungssystem an Grenzen kommt, wir umdenken und neue Wege finden müssen. Insbesondere auf unseren trockenen, sandigen Böden in Brandenburg könnte bspw. eine Kombination von Land- und Forstwirtschaft, ein sogenanntes Agroforst-System, großes Potential haben, da so Erosion vermindert, langfristig Nährstoffkreisläufe geschlossen und die Wasseraufnahme und -speicherfähigkeit des Bodens verbessert werden können. Diese Formen der alternativen Landnutzung lassen sich durch die heutige Förderpolitik aber nur schwer abbilden.
Ein geflügeltes Wort von Helmut Schmidt lautet: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Trotzdem: Welche Visionen hast du persönlich für die Landwirtschaft?
Im Investmentbanking gibt es einen Spruch „There ain’t no such thing as a free lunch“, was so viel heißen soll, wie „es gibt nichts umsonst“. Ich beginne zu verstehen, dass das so nicht immer stimmen muss. Wenn wir eine multifunktionale Landwirtschaft betreiben, welche die Stärken der Natur nutzt und bei der wir die Vitalität des Systems (vor allem des Bodens) in den Mittelpunkt stellen, werden sich diese Systeme selbst erhalten und gleichzeitig Nahrung abwerfen. Auch wenn wir erst ganz am Anfang sind: Wir wollen dazu beitragen, diese Systeme zu verbreiten.
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