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Sondersitzung AGRAR digital: Precision Farming – Kann Präzisionslandwirtschaft Ökonomie und Ökologie versöhnen?

Verfasst von Lena Rieble am 22.03.2022 unter Unternehmensnews

Am 17. März drehte sich bei der 16. Sondersitzung AGRAR alles um die Frage, ob Precision Farming die Landwirtschaft nachhaltiger und effizienter machen kann. Die Gäste diskutierten u. a. darüber, welches Potenzial für die Dünge- und Pflanzenschutzmittelreduktion in dem Ansatz steckt, welche Hürden den Einsatz von Precision Farming Systemen hemmen und wie man Präzisionslandwirtschaft fördern kann. Über 100 Zuschauerinnen und Zuschauer aus Politik, (Land-) Wirtschaft, Wissenschaft, Medien und Zivilgesellschaft waren live dabei. Event verpasst? Hier geht’s zur Aufzeichnung der Veranstaltung.


Moderatorin Nina Parzych führte durch die Veranstaltung. (© Genius GmbH)

In seinem politischen Impuls betonte der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Schätzl, dass die Ampel-Koalition zur Digitalisierung der Landwirtschaft stehe. Digitale Systeme könnten die Landwirtschaft effizienter und ressourcenschonender machen, Betriebsmittel einsparen und Erträge und Qualität von Lebensmitteln steigern. „Wir haben eine wirklich hohe Bereitschaft der Landwirtschaft digitale Systeme einzusetzen, sehen aber noch Nachholbedarf im Bereich Precision Farming“, stellte der Politiker fest, der in seiner Partei als Experte für Digitalisierung gilt. Hürden seien die mangelnde Glasfaser- und 5G-Infrastruktur, der Umgang mit Daten und die hohen Investitionskosten. Der SPD-Politiker fordert daher einen landwirtschaftlichen Digitalfonds zur Förderung einzelner Projekte.

Landwirte agieren in einem sehr komplexen und dynamischen System. „Genau da setzt Precision Farming an – dass wir den Landwirt mit mehr relevanten Informationen versorgen, damit er bessere Entscheidungen treffen kann,“ erläuterte Hans W. Griepentrog, Professor und Leiter des Fachgebietes Verfahrenstechnik in der Pflanzenproduktion an der Universität Hohenheim, in seinem wissenschaftlichen Impuls. Precision Farming liefere jedoch nicht nur Informationen, sondern auch die Technik, um Probleme zu lösen. Die Ziele seien mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Das Potenzial ist laut Griepentrog groß: „Wir könnten 80 bis 90 Prozent der Herbizide sparen.“ Und er fügte hinzu, „dass Digitalisierung nicht nur den großen Betreiben zugutekommt“. Precision Farming sei zwar auf den Betrieben angekommen, aber noch nicht sehr verbreitet. Am Ende sprach er von einem Paradigmenwechsel: „Früher mussten wir die Natur der Technik anpassen. Heute haben wir so viele Möglichkeiten in der Technik, dass wir die biologischen Prozesse in das Zentrum stellen können, um dann die Technik auszuwählen.“

Für Martin Schönberg, Präsident von 365FarmNet France SAS, stehen Ökonomie und Ökologie nicht im Widerspruch. Bei der Nährstoffausbringung sei Precision Farming ein exzellentes Beispiel, da mineralische oder organische Düngemittel georeferenziert ausgebracht werden können – sowohl kosteneffizient als auch bodenschonend. Auch die Erträge könnten optimiert werden, indem visualisiert wird, wo Aussaatmengen erhöht oder reduziert werden sollten. „Die Kombination aus der Information aus der Digitalisierung mit dem praktischen Wissen ist extrem wichtig, um das Gleichgewicht zwischen Ökonomie und Ökologie herzustellen“, erläuterte Schönberg.

Jörg Migende, Leiter Corporate Public Affairs und Digital Farming bei der BayWa AG, hob die Bedeutung der teilflächenspezifischen Düngung hervor. Sie sei mit Blick auf die Nitratauswaschung, Treibhausgasreduktion, Preisentwicklung und Nahrungsmittelsicherheit höchst relevant und lohne sich neusten Berechnungen zufolge ab 50 Hektar und mit vorhandener Technik bereits ab 20 Hektar Einsatzfläche. Er forderte in seinem Impuls, dass „Landwirte, die diese Technologien anwenden, Erleichterungen bekommen in der Düngeverordnung oder auch in den roten Gebieten.“ Die Anwendung in der Praxis werde noch durch mangelnden Bedienungskomfort der Systeme, unser föderales System und zu wenig ambitionierte Ziele der Politik gebremst. Daher betonte Migende: „Precision Farming muss in die Eco Schemes.“


Die Gäste der 16. Sondersitzung AGRAR. (© Genius GmbH)

Zum Einstieg in die Podiumsdiskussion beschrieb der Landwirt und Agrarwissenschaftler Julius von der Decken den Status quo der Präzisionslandwirtschaft auf dem Gutshof Raitzen, den er als Betriebsleiter führt. Insbesondere im Ackerbau spiele Präzisionslandwirtschaft eine Rolle, beginnend bei georeferenzierten Bodenproben über Applikationskarten bis hin zum bedarfsgerechten Einsatz von Betriebsmitteln mit einem sensorgesteuerten Exaktdüngerstreuer. Zudem würden Praktiken wie die bodenspezifische Aussaat und die tiefengeführte Bodenbearbeitung eingesetzt. Der jüngeren Generation von Betriebsleitern und Mitarbeitern falle die Bedienung der einzelnen digitalen Systeme leichter, die Überzeugung für Präzisionslandwirtschaft sei jedoch altersunabhängig.

Johannes Schätzl ergänzte, dass der Einsatz von Precision Farming Systemen zwar altersunabhängig ist, aber stark mit dem Bildungsabschluss zusammenhängt. „Wir sehen den Einsatz hauptsächlich bei Bachelor-, Master- und Diplomabschlüssen und sehen ihn nicht in der Lehre, Berufsausbildung oder im Fachabschluss.“ Daraus müsse die Politik Lehren ziehen. Die Bildungsinhalte müssten gezielt auch in die Lehre, um den Einsatz der Systeme zu steigern.

Auf die Frage warum er trotz hoher Anschaffungskosten in Präzisionslandwirtschaft investiert habe, antwortete Dr. Hartwig Kübler, der Gründer des Gutshofs Raitzen: „Momentan ist es noch viel Überzeugung.“ Bei zunehmenden Preissteigerungen für Düngemittel werde das aber interessanter. Er hoffe, dass die Leistungen der Landwirte zum Beispiel im Bereich Naturschutz in Zukunft honoriert werden, wenn die Landwirte nachweisen können, dass sie weder Überdüngen noch Gewässer verschmutzen. „Hier liegen Anspruch und Wirklichkeit noch weit auseinander“, resümierte Kübler.

Gerald Dohme, stellvertretender Generalsekretär beim Deutscher Bauernverband, betonte eingangs: Der Verband stünde hinter den vereinbarten Klimazielen und zur nachhaltigen Landwirtschaft – auch jetzt in diesen schwierigen Zeiten. In der Tat wären noch nicht alle Betrieb soweit, aber: „Im Grunde genommen stehen alle Betriebe zur Verfügung, um Precision Farming anzuwenden.“ Über betriebliche Zusammenarbeit, beispielsweise Lohnunternehmen und Maschinenringe, könnten auch kleinere Betriebe an der Entwicklung teilhaben. Der Verband wolle dies fördern. Dazu gehörten auch die Integration von Wissen über digitale Technologien in der Lehre und Weiterbildung sowie der Ausbau der Kommunikationskompetenz.

Für Katharina Au, verantwortlich für das Saatgutgeschäft und digitale Lösungen in Deutschland und Österreich bei Bayer CropScience Deutschland, ist klar: „Eine teilflächenspezifische Applikation von Betriebsmitteln [muss] der Weg sein, um Ökonomie und Ökologie zusammenzubringen.“ Dabei müsse man mit Blick auf Pflanzenschutzmittel der Komplexität gerecht werden. Teilflächenapplikation sei beispielsweise für Herbizide sinnvoll. Bei Insektiziden gehe es aber eher um das Erkennen des richtigen Zeitpunktes und die Schadschwelle und auch bei Fungiziden brauche man andere digitale Werkzeuge. Au plädierte daher, „den Knoten der Pauschalität zu lösen“ und eine differenzierte Debatte zu führen.

Abschließend waren sich alle einig: Precision Farming hat das Potenzial, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen – unter den richtigen Rahmenbedingungen, mit der richtigen Förderung und mit einem langen Atem.

Wir danken unseren Partnern 365FarmNet, der Bayer AG, der BayWa AG und dem U.S. Soybean Export Council (USSEC) sowie unserem Medienpartner, der agrarzeitung, und unserem ideellen Partner, dem Deutschen Bauernverband (DBV).

Das schreiben andere über die Veranstaltung:

Bei Interesse an der Veranstaltungsreihe und einer Teilnahme wenden Sie sich bitte an agrar@sondersitzung.berlin.

Nächster Termin: Sommer 2022

Unser Hashtag in sozialen Medien: #SoSiAGRAR

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